Candidate Experience aus wissenschaftlicher Sicht: Interview mit Dr. Jochen Kootz

Heute widme ich mich einer Rarität im Kontext von Candidate Experience: Wissenschaftliche Inhalte. Ich werde immer wieder von Personal-Mitarbeitern oder Studenten gefragt, welche wissenschaftliche Literatur ich zum Thema Candidate Experience empfehlen kann. Detschsprachige Literaturverweise sind eine absolute Rarität. Deswegen freue ich mich um so mehr, dass ich heute Dr. Jochen Kootz -Team Manager HR Business Partner Beteiligungen & Operational Excellence  bei der E-Plus Gruppe - interviewe. Er ist einer der wenigen deutschsprachigen Autoren, der sich wissenschaftlich mit dem Thema Candidate Experience auseinandergesetzt hat im Rahmen seiner Doktorarbeit.

Wer tatsächlich noch nicht weiß, was Candidate Experience bedeutet, dem empfehle ich folgenden Artikel über die Theorie der Candidate Experience und den Blick auf meine Sammlung an Artikeln, Studien und Interviews zum Thema Candidate Experience.

Tim Verhoeven: Hi Jochen, als du damals angefangen hast zu promovieren, war das Thema Candidate Experience noch bei weitem nicht so bekannt wie heute. Was hat dich damals bewegt, dieses Thema zu wählen?

Dr. Jochen Kootz: Zu Beginn meiner Laufbahn als Personaler war ich mit der sehr großen Aufgabe betraut, in kurzer Zeit sehr viel qualifiziertes Personal im In- und Ausland zu rekrutieren. Ich habe für ein sehr wachstumsorientiertes mittelständisches Unternehmen gearbeitet, welches als - man sagt heute so schön - Hidden Champion auf dem Markt tätig ist. Als Produktmarke sehr bekannt, aber weniger als attraktiver Arbeitgeber für IT’ler, Vertriebler, etc. Schnell konnten wir damals feststellen, dass wir diejenigen Kandidaten, die wir im Loop hatten persönlich sehr überzeugen konnten. Schnelle Prozesse, kurze Entscheidungswege, offene & professionelle aber auch informative Interviews, einfache Wege der Bewerbung, der persönliche Kontakt zu HR (ich nennen es bewusst die Recruiting-Basics).

Das sind Aspekte, die letztlich Kandidaten überzeugt haben und dazu geführt haben, dass auch Angebote von größeren Unternehmen abgelehnt wurden (oder wir waren einfach schneller). Es reifte zu dieser Zeit bei mir der Gedanke, dass es sehr viele Parallelen zum „Kundenmanagement“ und „Vertrieb“ gibt. Mit dem Wechsel zu E-Plus lernte ich dann das sog. Customer Experience Management kennen. Damit fand ich den theoretischen Rahmen für die sehr wichtige wissenschaftliche Betrachtung der Thematik.

Ich möchte gerne anmerken, dass 2009 wenige Personallehrstühle das Thema bereits als eigenes Feld auf der Agenda hatte –Employer Branding und Social Media waren einfach zu dominant. Allerdings hatte ich einen sehr guten Kontakt nach Trier zu einem Professor, der in der Tourismusforschung sehr aktiv ist. Er fand die Idee sehr spannend, Erkenntnisse aus dem Kundenerlebnismanagement auf das Feld Recruiting zu übertragen und letztlich Bewerber konsequent als Kunden einer Organisation zu betrachten. Auch der Gedanke war nicht neu, aber ich spreche ja auch von „konsequent“. Einige Jahre später gibt die Aktualität der Thematik der damaligen Weitsicht tatsächlich Recht. Nicht nur das Bar Camp war geprägt von CX sondern auch die Nachfrage und Interesse nach meinen Thema, welches ich auf zahlreichen Vorträgen erleben durfte.

Tim Verhoeven: Erzähl meinen Lesern doch bitte kurz: Worum geht es in deiner Doktorarbeit und welcher Ergebnisse hast du erarbeitet?

Dr. Jochen Kootz: In meiner Dissertation geht es kurzgefasst und einfach beschrieben darum, den Bewerber konsequent als Kunden einer Organisation zu betrachten und dies über den gesamten Kandidaten-Lebenszyklus. Ziel war es, konkrete Handlungsempfehlungen zu eruieren sowie einen theoretischen Rahmen zu erarbeiten, um CX in einem Unternehmen strukturiert zu etablieren. Dies vorweggesagt, ist kein kurzweiliger Prozess, sondern sollte als langfristige Initiative Projekt betrachtet werden. Letztlich gilt die Empfehlung sich in einem ersten Schritt auf die sog. Recruiting Basics zu konzentrieren. Ist das Unternehmen in der Lage seine Prozesse kundenorientiert zu steuern, kann dann in einem nächsten Schritt mit sog. on top Maßnahmen dem Kandidaten ein positives Erlebnis vermittelt werden. Dies kann zum Teil mit einfachen und kostengünstige Maßnahmen geschehen, die den Bewerber schlichtweg überraschen. Bestenfalls spricht er dann positiv über das Unternehmen off- und online.

Tim Verhoeven: Mit welchen Ergebnissen hattest du gerechnet und welcher waren eine Überraschung?

Dr. Jochen Kootz: Ich habe schon damit gerechnet, dass es in den empirischen Erhebungen auf Bewerberseite einige negative Stimmen gegenüber den Unternehmen gibt. Schließlich war ja jeder von uns schon mal selbst Bewerber und hatte so das ein oder andere Erlebnis. Überrascht hat mich jedoch, dass zum Teil auch große Unternehmen in Sachen Umgang mit Kandidaten Nachholbedarf haben. Da ich explizit die berühmte Gen Y als Fokusgruppe gewählt habe, überraschte mich, dass es eigentlich hier auch nur um die Basics geht. Das heißt Themen wie Mobile Apps, tolle Karriereseiten, Facebook Auftritt sind wichtig – werden auch geschätzt - jedoch bringt alles am Ende des Tages nichts, wenn der junge qualifizierte Absolvent keine Rückmeldung bekommt, seine Bewerbung im Nirvana verschwindet oder Gesprächspartner mit einer überheblichen Arroganz in den Gesprächen sitzen. Dies zeigte deutlich, wie viel Unternehmen noch mit einfachen Maßnahmen und professionellen Prozessen erreichen kann. Sprich: Die Erwartungshaltung der „Kunden“ ist in Deutschland noch nicht sehr hoch. Vor allem so meine Devise können hier Mittelständler sehr gut punkten in dem sie ihr Recruiting kundenorientiert ausrichten.

Tim Verhoeven: Jetzt mal ein wenig zur Theorie: Ich höre und lese häufiger, dass Candidate Experience häufig zu eindimensional betrachtet wird (beispielsweise nur bezogen auf das Online-Bewerbungs-Tool). Deckt sich das mit deinen Erfahrungen und was glaubst du sind die Gründe hierzu?

Dr. Jochen Kootz: Ja das stimmt. Obwohl sich zum Teil die Perspektive öffnet. Derzeit kreist ziemlich viel um das Thema User Experience auf den Karriereseiten. Das ist sicherlich wichtig. So einfach wie möglich lautet hier die Devise. Aber es steckt nun mal mehr hinter einem Recruiting Prozess. Auch die kleinsten Touchpoints sollten in den Scope genommen werden. Das fängt an vom ersten Kontakt auf einer Messe, geht über den persönlichen Kontakt am Empfang bis hin zu einer schnellen und transparenten Vertragsabwicklung – besonderes letzter Touchpoint scheint zum Teil wenig im Fokus zu sein. Daher empfehle ich alle Kontaktpunkte zu identifizieren und zu beleuchten. Hier ist das Feedback der Bewerber natürlich maßgebend.

Tim Verhoeven: Du hast dich dem Thema sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht genähert.

Dr. Jochen Kootz: Was müsste deiner Meinung nach ein "Candidate Experience Manager" (wenn es diese Berufsbezeichnung geben sollte) mitbringen, um ein CEM-Projekt in seinem Unternehmen zu schaffen? Das ist einfach zu beantworten: Durchhaltevermögen, Überzeugungskraft, Kreativität und vor allem Begeisterung für den Kunden. Daher sage ich, dieser mögliche CXM Manager müsste nicht unbedingt ein HR Professionell sein, sondern hier sollten wir einmal in Richtung Menschen schauen, die im Kundenservice zu Hause sind und CEM im Dienstleistungs- und Produktmarketing vorantreiben.


Dr. Jochen Kootz veröffentlicht gemeinsam mit Birger Meier und mir regelmäßig Artikel auf www.personalblogger.net zum Thema Candidate Experience:


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